Was ist Wahrheit? – Diese Erwiderung des Pontius Pilatus auf eine Äußerung Jesu geht dessen Verurteilung zum Kreuzestod unmittelbar voraus. Pilatus wendet sich ab, ohne auf eine Antwort zu warten. Die Frage bleibt unbeantwortet.
Was also ist Wahrheit?
Der nachfolgenden kurzen Passage gehen ungezählte Abhandlungen voraus, die in der Philosophiegeschichte zum Thema Wahrheit verfasst worden sind. Unsere kurzen Ausführungen bleiben – bezogen auf die Fülle der philosophischen Literatur – zwangsläufig extrem summarisch und völlig undifferenziert. Und sie beziehen sich nur auf eine einzige der zahlreichen Wahrheitstheorien: die Korrespondenztheorie.
Kurzum: Unsere Passage enthält nur das, was wir für die Grundlegung unserer Beitragsserie für erforderlich halten.
Die Korrespondenztheorie ist die in der Philosophiegeschichte über weite Strecken dominierende Theorie der Wahrheit. Diese Theorie geht von Wahrheit als Übereinstimmung gedanklicher Vorstellungen mit der Wirklichkeit aus. Und in diesem Sinne auch der Übereinstimmung des Inhalts von Aussagen mit der Realität.
Das klingt vielleicht trivial. Dieses Verständnis geht aber zurück auf die – wie Heidegger formulierte – größte philosophische Anstrengung … die Platon und Aristoteles unternommen haben. Und dieses Verständnis ist tatsächlich nicht trivial, sondern von erheblicher Tragweite und Problematik.
Was könnte z.B. mit Übereinstimmung gemeint sein? Zunächst einmal sind es doch nur gleichartige Entitäten, die übereinstimmen können. Zwei Meinungen können z.B. übereinstimmen.
Was aber könnte mit Übereinstimmung gemeint sein, wenn es um ungleichartige Entitäten geht? Wenn einerseits gedankliche Vorstellungen und andererseits Ausprägungen der Realität angesprochen sind?
Ist hier inhaltliche Identität denkbar? Oder geht es vielleicht um Korrelation? Oder muss diese Relation ganz anders beschrieben werden?
Allein diese Fragen haben in den philosophischen Debatten der letzten 2 ½ Jahrtausende zu unzähligen Beiträgen geführt.
Dennoch ist – und damit sei der Übersichtsartikel aus Wikipedia zitiert – Karen Gloy zuzustimmen: Das Korrespondenz-Verständnis der Wahrheit ist zweifellos das bekannteste und verbreitetste, das sowohl unser alltägliches, vorwissenschaftliches Denken wie auch unser wissenschaftliches beherrscht. Im Alltag stellt die (vage) Rede von der Übereinstimmung einer sprachlichen Aussage mit einem objektiven Sachverhalt oft auch kein Problem dar.
Wahrhaftigkeit und Parrhesia
Wahrheit ist also eine Eigenschaft von Vorstellungen oder des Inhalts von Aussagen. Wahrhaftigkeit hingegen ist eine Denkhaltung. Sie beinhaltet das Streben nach Wahrheit. Sie bringt das Verhältnis eines Menschen zur Wahrheit oder Falschheit von Aussagen zum Ausdruck.
Wahrhaftigkeit äußert sich im Streben nach Wahrheit. Soweit es dabei um eigene Äußerungen geht, sprechen wir von Ehrlichkeit.
Ganz überwiegend wird auch die Bereitschaft, wahre Äußerungen offen und frei zum Ausdruck zu bringen, als Ausprägung von Wahrhaftigkeit betrachtet. Wir fassen diese Bereitschaft unter ihren griechischen Begriff Parrhesia. Die Übertragung ins Deutsche: Wahrsprechen bringt die Offenheit und Freiheit der Äußerung nicht gleichermaßen zum Ausdruck.
Der Begriff Parrhesia wurde auch von Michel Foucault verwendet, um das Konzept eines Diskurses zu beschreiben, in dem man offen und wahrhaftig seine eigene Meinung und seine Ideen ausspricht, ohne rhetorische oder manipulative Elemente zu verwenden.
Mit Parrhesia und Ehrlichkeit sind also die Ausprägungen von Wahrhaftigkeit genannt, deren Wert für Unternehmen uns interessiert. Aus anderer Perspektive können wir aber auch nach den Kosten der Unwahrhaftigkeit fragen. Die Spielarten der Unwahrhaftigkeit erläutern wir in unserem nächsten Beitrag.