Zu den Ursprüngen abendländischer Wahrheitsphilosophie wird häufig Aristoteles zitiert. Aristoteles setzte beim Sprachgebrauch an. Aussagesätze sollten dann wahr sein, wenn sie wiedergeben, was man denkt, und man nicht anders denkt, als die Dinge sich verhalten.
Die philosophische Diskussion nach Aristoteles hat sich bis heute vor allem auf Aspekte von Wahrheitsdefinitionen und Wahrheitskriterien konzentriert. Andere Themen traten eher in den Hintergrund. Dazu zählt die Frage nach dem Wert der Wahrheit.
Wozu Wahrheit?
Systematisch und umfassend hat sich Friedrich Nietzsche mit dieser Frage auseinandergesetzt. Für ihn ist es nicht mehr als ein philosophisches Vorurtheil, dass Wahrheit mehr werth ist als Schein.
Wozu also Wahrheit? Man kann sich dieser Frage mit der Eröterung nähern, ob Wahrheit und Wahrhaftigkeit absolute Werte an sich sind. Bei der Diskussion dieser Frage erwähnt der Regensburger Philosophieprofessor Hans Rott auf der Seite der Befürworter Platon und Hegel. Die Gegenthese werde – so Hans Rott – mit unterschiedlichen Argumenten von mehreren zeitgenössischen Philosophen gestützt, beispielsweise dem amerikanischen Pragmatisten Richard Rorty (Hans Rott 2003).
Wahrheit – weder ein absoluter noch ein wesentlicher instrumenteller Wert
Ein Hauptargument der Gegenthese schlägt den Bogen von häufig als absolut anerkannten Werten zur Wahrheit. Das Gute wird erstrebt, weil es gut ist, das Schöne, weil es schön ist. Anders verhalte es sich mit dem Wahren. Schon insofern könne man Wahrheit nicht als absoluten Wert betrachten. Zudem sei das, was wirklich in der Welt geschieht – so Rott – und also wahr ist, häufig weder gut noch schön, sondern hässlich und schlecht. Und daraus scheine – so Rott – zu folgen, dass das, was wahr ist, nicht um seiner Wahrheit willen positiv besetzt sein könne.
Auch als wesentlicher instrumenteller Wert scheidet Wahrheit aus – so Rott: Trotzdem, so scheint mir, gibt es überhaupt keine Garantie dafür, ja ist es nicht einmal besonders plausibel anzunehmen, dass eine Welt, in der jeder im Besitz aller (für ihn oder sie relevanten) Wahrheiten ist, einer anderen Welt vorzuziehen wäre, in der allen oder jedenfalls den meisten Menschen „unnötige“, sie doch nur belastende Konfrontationen mit der Härte der Fakten erspart blieben.
Vertrauen und Autonomie zur Begründung der Bedeutung von Wahrheit
Die – so Rott – vielleicht verblüffende relative Wertlosigkeit des Wahren öffne indes nicht die Tür zu einem zügellosen Umgang mit der Wahrheit. Für Rott gibt es mindestens zwei strukturelle Gründe zur Begründung der Bedeutung von Wahrheit.
Rott knüpft zunächst an David Lewis an. Nach dessen Konzeption ist das Benutzen einer Sprache in einer Sprechergemeinschaft unmittelbar definiert durch die Wahrhaftigkeit und das Vertrauen, mit der Sprecher und Hörer die Sätze einer solchen Sprache produzieren bzw. rezipieren. Ohne gegenseitige Wahrhaftigkeit und Vertrauen existiere schlichtweg keine Sprechergemeinschaft und letztlich auch keine Sprache.
Die zweite Begründung fasst Rott unter den Begriff der Autonomie. Wir dürften und sollten auf einem Recht auf informationeller Selbstbestimmung bestehen. Dies in dem Sinne, dass andere nicht zu bestimmen haben, worüber wir gute und worüber wir schlechte
Informationen bekommen sollen. Die einzige Person, der wir erlauben, uns zu täuschen, seien wir selbst. Alles andere empfänden wir zu Recht als einen Anschlag auf unsere Selbstbestimmtheit.
Wahrheitsdividende
Verlassen wir die Höhen philosophischer Letztbegründung. Auch im Alltag stellt sich die Frage nach dem Wert der Wahrheit Tag für Tag in unzähligen Situationen. Das gilt auch für den innerbetrieblichen Kontext. Und genau in diesem Kontext empfinde ich es enorm spannend, ob und wieviel Wahrheit bzw. Lüge zielführend sind.
Kurzum: es geht um den Mehrwert, der durch mehr Wahrheit und Wahrhaftigkeit im betrieblichen Kontext geschaffen werden könnte. Es geht mir um die Frage einer „Wahrheitsdividende“. Dazu mehr im nächsten Beitrag…