Wahrhaftigkeit als Forderung ist zweischneidig. Einerseits gibt es aus moralphilosophischer Sicht viele Befürworter. Andererseits ist Wahrhaftigkeit als unbedingte praktische Forderung anerkanntermaßen unrealistisch: You’re a liar. – So am I. – That’s the truth.
Dieses Zitat stammt aus einem Buch von Carol Kinsey Goman. Einige Passagen dieses Buches beschreiben anschaulich, worum es in dieser Beitragsserie geht.
Goman beschreibt unter anderem die Ergebnisse einer Befragung zum Thema Deception in the Workplace. Goman hält aus der Auswertung des Fragebogen-Rücklaufes fest: I learned that many people work (happily and productively) in organizations with ethical leadership and trustworthy co-workers. But I also learned that a majority does not: 67 percent of respondents said that they have lost confidence in the truthfulness of their senior leaders, 53 percent admitted that they don’t trust their managers, and 51 percent believed that their co-workers regularly lied.
Lügen am Arbeitsplatz sind danach ein landläufiges Phänomen.
Motive für Lügen am Arbeitsplatz – und die Chef-Perspektive
Den Aspekt der Motive leitet Goman mit einer Frage an den Leser ein: What about you? Do you always tell the truth? – When I put that question to my survey participants, 53 percent admitted lying—primarily to cover up job performance inadequacies, to control time, or as part of a job or career strategy.
Mitarbeiter halten sich danach also regelmäßig nicht an die Wahrheit. Sie lügen zunächst, um eigene Fehler zu verdecken. Sie lügen zum zweiten im Interesse ihrer eigenen zeitlichen Prioritäten. Zitat aus den Befragungsergebnissen: When I’m at a meeting and find I am wasting my time, I leave, saying I have to attend another meeting.
Und letztlich: Mitarbeiter lügen, wenn dies im Interesse ihrer Karriere erforderlich erscheint.
Goman geht daneben auf die Sicht der Vorgesetzten ein. Aus der Chef-Perspektive bestehen gravierende Unwahrhaftigkeiten häufig darin, dass wichtige Fakten verschwiegen werden. Zitat aus Gomans Buch: When I talk with managers about the worst kind of lies they hear from their staffs, they often mention lies of omission: There is nothing worse than getting blindsided by a project that has gone off course.
Der Wert von Wahrhaftigkeit am Arbeitsplatz
Natürlich muss man fragen, welcher Maßstab bei der Beurteilung nothing worse angelegt worden ist. Was bedeutet nothing worse? – Da es sich um die Chef-Perspektive handelt, scheint nicht unplausibel, dass es um den Erfolg der Geschäftseinheit oder des ganzen Unternehmens geht. Wenn nichts schlimmer als eine bestimmte Art der Lüge ist, dann aus Chef-Perspektive wahrscheinlich deshalb, weil die Lüge diesen Erfolg gefährdet.
Bleiben wir bei dem nothing-worse-Zitat. Fassen wir es in einen Zusammenhang.
Ein Projekt ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Dies allerdings verschweigt der Mitarbeiter im Gespräch mit seinem Chef. Er will sich selbst schützen, weil er Fehler gemacht hat. Und er fürchtet um seine Karriere, wenn die Fehler entdeckt werden.
Für seinen Chef liegt darin die denkbar schlimmste Lüge. Vielleicht geht es um ein Projekt, das existentiell für das Unternehmen ist. Es könnte sein, dass dieses Projekt nur deshalb scheitert, weil der Mitarbeiter den katastrophalen Stand des Projektes verschwiegen hat.
Wahrhaftigkeit hätte insofern für den Erfolg des Projektes und des Unternehmens hohe Bedeutung gehabt.
Um diese Frage dreht sich unsere Beitragsserie: Welche Bedeutung hat Wahrhaftigkeit am Arbeitsplatz. Welchen Wert für ein Unternehmen stellt sie dar?
Aufbau unserer Beitragsserie
Unsere Beitragsserie beschäftigt sich zunächst mit generellen Aspekten von Wahrhaftigkeit und Unwahrhaftigkeit, und zwar in erster Linie in begrifflicher Hinsicht. Die generelle Darstellung sieht weitgehend von der Arbeitswelt und dem Wert von Wahrhaftigkeit ab.
Anschließend beschäftigen wir uns mit Aspekten von (Un)-Wahrhaftigkeit in der Arbeitswelt.
Der Wert von Wahrhaftigkeit bildet den Abschluss unserer Beitragsserie.