Wahrheitsdividende

Wahrheit oder Lüge? - Die Geschichte dieses Problems ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Vielleicht beginnt sie mit der Frage des steinzeitlichen Jägers nach der Marschrichtung zur erlegten Beute.
Hätte ihm sein Artgenosse die richtige Richtung gewiesen? Zumal dann, wenn die Beute nicht für sie beide gereicht hätte?

"Wahrheit oder Lüge?" Und welchen Stellenwert hat Wahrheit in bestimmten Situationen? Wie zahlt sich Wahrheit aus - Stichwort: Wahrheitsdividende? Bevor wir den Bogen zu unserem eigentlichen Thema schlagen: ein kleiner Exkurs zur Begriffsklärung vorab:

Zu den Ursprüngen abendländischer Wahrheitsphilosophie wird häufig Aristoteles zitiert. Aristoteles setzte beim Sprachgebrauch an. Aussagesätze sollten dann wahr sein, wenn sie wiedergeben, was man denkt, und man nicht "anders denkt, als die Dinge sich verhalten".

"Denn zu behaupten, das Seiende sei nicht oder das Nichtseiende sei, ist falsch. Aber zu behaupten, dass das Seiende sei und das Nichtseiende nicht sei, ist wahr."        Aristoteles (ca. 428‑348 v. Chr.)

Auch heute besteht in der Philosophie weitgehend Übereinstimmung darin, "wahr" nur auf Aussagen anzuwenden, also auf Sätze im deklarativen Kontext des Behauptens oder Charakterisierens. Und auch heute hat ein "korrespondenztheoretisches" Wahrheitsverständnis, wie es Aristoteles beschreibt, viele Anhänger.

Die philosophische Diskussion nach Aristoteles hat sich bis heute vor allem auf Aspekte von Wahrheitsdefinitionen und Wahrheitskriterien konzentriert. Andere Themen traten eher in den Hintergrund. Dazu zählt die Frage nach dem Wert der Wahrheit.

Wozu Wahrheit?

Systematisch und umfassend hat sich Friedrich Nietzsche mit dieser Frage auseinandergesetzt. Für ihn ist es "nicht mehr als ein philosophisches Vorurtheil, dass Wahrheit mehr werth ist als Schein."

"Bei allem Werthe, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wäre möglich, dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung ... ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Werth zugeschrieben werden müsste."        Friedrich Nietzsche  (1844‑1900)

Wozu also Wahrheit? Man kann sich dieser Frage mit der Eröterung nähern, ob Wahrheit und Wahrhaftigkeit Werte an sich, ob sie absolut sind. Bei der Diskussion dieser Frage erwähnt der PhilosophieprofessorHans Rott[1] auf der Seite der Befürworter Platon und Hegel. Die Gegenthese werde - so Hans Rott - mit unterschiedlichen Argumenten von mehreren zeitgenössischen Philosophen gestützt, beispielsweise dem amerikanischen Pragmatisten Richard Rorty.

Das Ergebnis der Argumentation von Hans Rott teile ich: Wahrheit und Wahrhaftigkeit sind keine Werte an sich. Sofern es für sie aber keinen absoluten Vorrang gibt, sind sie mit anderen Werten im Beitrag zu höheren Werten abzuwägen.

Wahrheitsdividende

Verlassen wir die Höhen philosophischer Letztbegründung. Auch im Alltag stellt sich die Frage nach dem Wert der Wahrheit Tag für Tag in unzähligen Situationen. Das gilt auch für den innerbetrieblichen Kontext. Und genau in diesem Kontext empfinde ich es enorm spannend, ob und wieviel Wahrheit bzw. Lüge zielführend sind.

Kurzum: es geht mir um den Mehrwert, der durch mehr Wahrheit und Wahrhaftigkeit im betrieblichen Kontext geschaffen werden könnte. Es geht mir um die Frage einer "Wahrheitsdividende". Diese Frage hoffe ich beim nächsten Update dieser Seite vertiefen zu können ...


[1] Hans Rott: Der Wert der Wahrheit, in: Kulturen der Lüge (Hrsg. Mathias Mayer), Köln und Weimar 2003, hier als pdf verfügbar